Die Synthesizerstory
- eine Artikelfolge für die Zeitschrift "Music Scene", erschienen Januar/Februar 1974.

Wie ein Synthesizer klingt, glauben die Meisten zu wissen. Wie man damit umgeht, wissen nur diejenigen Besitzer dieser Instrumente, die mit genügend Geduld und nach einigen Enttäuschungen gelernt haben, sie zu meistern. Und darum kursieren (auch unter sogenannten Fachleuten) die erstaunlichsten Märchen über dieses neue Gerät, das ins Niemandsland zwischen Elektronenorgel und Laboreinrichtung gehört. Da wird von "gefährlichen Frequenzen, die in den Kopf dringen", von mystischen Trips phantasiert, da fühlen sich Musiker als "Priester, die das Sakrament vollziehen", da wird vom "Ende der Musikinstrumente" geredet, um nur einige Beispiele zu erwähnen.

Es ist nicht verwunderlich, dass von einem derart übermenschlichen Gerät auch unglaubliche Dinge erwartet werden, und so wird fast jede Synthesizer-Vorführung im Musikgeschäft oder in einer Ausstellung zu einer Enttäuschung: für den Interessierten, der nur einige merkwürdige Klangeffekte hört ("wie aus einem schlecht eingestellten Radio") wie auch für den geplagten Vorführer, der unter den Tücken des Objekts leidet wie nie zuvor.
Dieser Bericht will sachlich sein, und es wird darin von Trips und Mystik nicht die Rede sein. Musikalische Höhenflüge können sich bei jedem Instrument einstellen, wenn es spieltechnisch beherrscht wird und die seelischen Voraussetzungen dazu da sind. Sicher kann man mit Hilfe von Elektronik, mit Echogerät und grossen Verstärkern, ein Nichts zu einer schillernden Seifenblase aufblasen und damit jene "Zuhörer" ködern, die beim Musikhören die Ohren geschlossen halten und nur auf die Bühnenshow reagieren, aber was soll das?

Erste Erfahrungen

Als Robert A. Moog um 1964 sein erstes Modell baute, konnte er auf eine Menge von Erfahrungen und technischen Erfindungen zurückgreifen. Da waren die ersten Versuche von Thaddeus Cahill, der 1906 in Amerika mit einer 200 Tonnen schweren Orgelmaschine Uebertragungen über ein Telefonnetz zustande brachte. Oder das Instrument des sowjetischen Physikprofessors Leon Theremin aus dem Jahr 1920, ein Zauberding, das durch geheimnisvoll wirkende Handbewegungen in der Luft gesteuert wurde und Töne mit der Klangfarbe einer Singenden Säge erzeugte. Es wurde vor allem von Variete-Künstlern gebraucht und später beinahe vergessen, bis amerikanische Firmen vor kurzem wieder einige Geräte fabrizierten. Wirklich brauchbar waren erst die Ondes Martenot und das Trautonium, das erste vom Franzosen Maurice Martenot 1928, das zweite vom Deutschen Friedrich Trautwein 1930 erstmals vorgeführt.
In Berlin steht noch das Mixturtrautonium von Oscar Sala, eine genialmonströse Weiterentwicklung, mit der er schon vor vielen Jahren versuchte, elektronische Pop-Musik zu machen.
Die Zeit schien damals noch nicht reif für solche Versuche, auf jeden Fall versanken sie rasch in Vergessenheit.
Die "Ondes" werden heute noch gebaut, und zwar in einem Atelier in Neuilly-sur-Seine. Ihr Prinzip ist das des Schwebungssummers, ein Begriff, der jedem Elektroniker bekannt sein dürfte. Für den weniger technisch Interessierten ist viel wichtiger, dass das Instrument eine Menge Dinge enthalt, die man bis zum Aufkommen des Synthesizers nicht wieder in einem elektronischen Instrument vereinigt antreffen sollte: Das Instrument ist einstimmig, es lassen sich also keine Akkorde darauf spielen. Dafür besitzt es eine frei verschiebbare Stimmung, man kann von den tiefsten Bissen bis zu den höchsten, kaum mehr wahrnehmbaren Höhen spielen. Es besitzt Vierteltöne, die z.B. für indische Tonleitern wichtig sind. Mit einer Drucktaste wird bestimmt, wie der Ton einsetzen soll, wie laut er sein soll und wie er ausklingt. Mit drei kleinen, auf die feinste Berührung reagierenden Metallpunkten kann das raffinierteste Tremolo erzeugt werden. Und das Ungewöhnlichste: mit einem verschiebbaren Band können über die ganze Skala gleitende Töne gespielt werden. Dass das Instrument nicht häufiger verwendet wird, ist wahrscheinlich daraus zu erklären, dass es heute technisch veraltet und heikel zu transportieren ist und dass es sehr viel Uebung braucht, bis man es beherrscht.

Mehrstimmigkeit

Eine wirklich erfolgreiche Fabrikation von elektronischen Instrumenten konnte erst entstehen, als es gelang, mehrstimmige Instrumente herzustellen, die die Pfeifenorgel ersetzen konnten. Einer der Pioniere war Laurens Hammond, der 1934 in Chicago seine elektromagnetische Orgel herausbrachte. Obwohl oder gerade weil sie streng genommen keine eigentliche elektronische Orgel ist, wird sie bis heute von vielen Musikern besonders geschätzt. Die ersten rein elektronischen Orgeln, bei denen der Ton also nur mit Hilfe von Elektronenröhren und Schwingkreisen und ohne mechanische Tonerzeuger entsteht, stammen etwa aus der gleichen Zeit. Es gibt heute Dutzende von Fabrikaten, die meisten davon mit modernen Transistorschaltungen, die geholfen haben, Grösse und Gewicht der Orgeln bedeutend zu verringern. Die erzeugbaren Klangfarben sind recht vielfältig, meistens sind auch zusätzliche Möglichkeiten wie Vibrato, Perkussion, Lautstärkepedal etc. eingebaut, die den an sich starren Orgelton lebendiger machen. Allerdings führen auf den Klangfarbenschaltern angegebene Bezeichnungen wie "Flöte, Trompete, Tuba" und wie sie alle heissen, den unkritischen Organisten zur Vorstellung, er könne diese Instrumente wirklich imitieren.
Es ist erstaunlich, wie viele Leute ein bestimmtes Instrument zu hören meinen, wenn man ihnen nur vorher genügend zuredet und dann etwas produziert, das mit viel Phantasie gewisse Aehnlichkeiten damit aufweist. Aber damit sind wir eigentlich schon weit weg vom Synthesizer, der ja gerade keine elektronische Orgel sein soll und ganz andere Funktionen erfüllt. Das Bestreben, beim Herstellen von Musik auf die Grundelemente zurückzugreifen und die verwendeten Klänge nicht einfach fertig von einem Instrument zu übernehmen, sondern von Grund auf neu herzustellen, geht vor allem auf die Komponisten und Techniker der "Kölner Schule" in den frühen Fünfzigerjahren zuruck. Namen wie Herbert Eimert, Hermann Heiss und Karlheinz Stockhausen sind mit diesen ersten Versuchen verbunden, die vor allem von den einfachsten Wellenformen, den fast klangneutralen Sinustönen ausgingen. Die meisten dieser Versuche entstanden in Nebenräumen von Radiostudios, in denen Geräte untergebracht wurden, die mit List und Tücke den Servicetechnikern der Radiostation abgenommen und ihrem eigentlichen Zweck entfremdet wurden. Da standen Tongeneratoren, die für Verstärkerprüfungen entworfen waren, Filter, die Geräuschmessungen machen sollten, Modulatoren aus Telefonie-Einrichtungen alles Geräte, deren Hersteller sich nie hätten traumen lassen, dass eines Tages ein besessener Komponist damit Musik machen könnte. Es war aber auch schwer, mit diesen Geräten umzugehen: jedes hatte seine Tücken und Begrenzungen, und es brauchte oft geduldige Hilfe von vielen Technikern und einige Erfindungsgabe, um in stundenlanger Arbeit auch nur einen Klang herzustelien. Praktisch jeder Ton wurde einzeln erzeugt, auf Tonband gespeichert und durch Bandschnitt oder Zusammenmischen mit anderen Tönen kombiniert. Viel hing vom manuellen Geschick des Komponisten ab, der mit Gefühl die Regler und Drehknöpfe bedienen musste. Eine einmal hergestellte Komposition war kaum mehr in einem anderen Studio nochmals machbar, es sei denn, dass genau die gleichen Apparaturen im genau gleichen Zustand zur Verfügungstanden. Und so entstanden um 1953 durch konzentrierte Arbeit von fünf Komponisten in anderthalb Jahren ganze 28 Minuten Musik. Andere Komponisten machten es sich etwas leichter, vor allem diejenigen, die nicht auf theoretische Vollkommenheit und Perfektion Wert legten, sondern mit unbändigem Spieltrieb alles, was ihnen in die Hände fiel, durch ihre Maschinen veränderten und neu kombinierten. Die Franzosen Pierre Henry und Pierre Schaeffer, die in Amerika arbeitenden Wladimir Ussachevsky und Otto Luening bearbeiteten Instrumentaltöne und Geräusche und schufen oft faszinierende neue Klänge.
Bald zeigte sich immer mehr, dass es kein allzu grosses Problem war, mit Apparaturen irgendwelche neue Klangfarben herzustellen, dass das fast unüberwindbare Hindernis vielmehr darin bestand, diese Apparaturen planvoll und exakt zu steuern und mit einigermassen vernünftigem Zeitaufwand zu Resultaten zu kommen.
Besonders finanzstarke Institute wie die RCA in den USA oder Siemens in Deutschland reagierten mit extremer Vergrösserung des Aufwands an Apparaten: Es wurden Mengen von Tongeneratoren und Filtern gleicher Konstruktion zusammengebaut und mit einer komplizierten Lochstreifensteuerung betrieben. Das Siemens-Studio in München war längere Zeit unerreichbares Vorbild für Studiobauer. Mit dem RCA-Synthesizer an der Columbia-Princeton University, einer zimmerfüllenden Anlage, wurde 1955 eine Schallplatte mit recht verblüffenden Nachahmungen von Instrumenten produziert. Der interessierte Komponist hatte von beiden Anlagen meist wenig Nutzen, da es recht schwer war, zu diesen und auch zu anderen gut eingerichteten Instituten Zutritt zu erlangen.

Auswege

Komponisten mit technischem Verständnis suchten Auswege aus dieser Lage. Es musste doch möglich sein, speziell auf musikalische Zwecke zugeschnittene Geräte zubauen, die nicht zu teuer waren und die gleichzeitig auf relativ einfache Weise zusteuem waren. Von den vielen Versuchen waren nur wenige erfolgreich. Manches scheiterte am mangelnden Interesse von massgebenden Leuten (die die finanziellen Mittel hätten bereitstellen können) und am zähen Widerstand vieler Musiker, die in elektronischen Geräten prinzipiell Teufelsdinger sahen. Die wenigsten Musikproduzenten konnten sich vorstellen, dass man (verkäufliche) Musik damit machen könnte, und so blieb auch diese Geldquelle verschlossen. (Dazu eine kleine persönliche Erinnerung: Als ich im Jahr 1968 Geld auftreiben wollte, um einen Moog Synthesizer zu kaufen, konnte sich keine der angefragten Firmen und Institutionen zum Mitmachen entschliessen.) Trotz allen Problemen entstanden einige Geräte wie z.B. das Synket von Paolo Ketoff, ein kleines Gerät, das man ohne weiteres als Vorläufer des Mini-Moog bezeichnen könnte. Donald Buchla entwarf einige praktische Bauteile. Die richtige Kombination von guten Ideen und kommerzieller Tüchtigkeit fand aber erst Robert A. Moog. Seine Firma besteht schon seit 1954 und produzierte zuerst Theremin-Geräte. Dann, nach vielen Diskussionen und intensiver Zusammenarbeit mit dem Filmkomponisten Herbert Deutsch, entstanden 1964 die ersten Geräte mit grundlegenden Neuerungen. Im ersten Prospekt der Moog Company, Trumansburg, von 1967 sind schon beinahe alle Grundelemente auch heutiger Synthesizer enthalten.

Um die Grundidee von Moog zu verstehen, müssen wir zuerst einige grundsätzliche Dinge klarstellen, auch wenn es etwas technisch und theoretisch klingen mag. Etwas vereinfacht gesagt sind Töne nichts anderes als Luftschwingungen. Langsame Schwingungen (z.B. etwa 50 pro Sekunde) werden als tiefe Töne empfunden, schnelle (etwa 2000 Schwingungen pro Sekunde, oder technischer gesagt: 2000 Hertz) als hohe. Unter einer bestimmten Grenze (etwa 20 Hertz) hört das Ohr keinen Ton mehr, sondern einzelne schnelle Schläge. Tone mit Frequenzen über 15000 werden nur noch von wenigen Leuten gehört. Bei konventionellen Musikinstrumenten wird die Luft durch schwingende Saiten, Felle oder durch Anblasen in Bewegung versetzt. Bei elektronischen Instrumenten erzeugt man (nicht hörbare) elektrische Schwingungen, die den Luftschwingungen analog sind und verwandelt diese dann mit Hilfe von Zwischengeraten in hörbare Luftbewegungen. Solche Zwischengeräte, die elektrische Schwingungen in Luftschwingungen verwandeln (oder umgekehrt) sind etwa Lautsprecher, Kopfhörer oder in umgekehrter Richtung Mikrophone und Tonabnehmer. Ein Gerät, das elektrische Schwingungen erzeugt, heisst Tongenerator oder Oszillator. Die Klangfarbe der Töne hängt mit der Form der Schwingungen zusammen, wie sie auf einem Bildschirmgerät, einem sog. Oszilloskop sichtbar gemacht werden können. Die einfachste Schwingung, die der neutralsten, wenigst charakteristischen Klangfarbe entspricht, nennt man Sinuston. Mischt man zu einem Sinuston schnellere Schwingungen dazu, so wird der Klang rauher, die Form gleichzeitig komplizierter, es bilden sich Buckel und Ecken. Man hat für einige dieser Formen sinnfällige Bezeichnungen gefunden wie Sägezahn, Dreieck, Rechteck entsprechend werden die Generatoren, die sie erzeugen, genannt. Man kann diese Formen mit weiteren Geräten verändern. Am häufigsten werden dazu Filter verwendet, die gewisse Schwingungsgebiete abschwächen. Mit einem sog. Tiefpass, der also nur Schwingungen unterhalb eines bestimmten Wertes passieren lässt, können wir etwa aus einem komplizierten Klang, der eine Menge Obertöne enthalt, so viel wegsieben, dass er zum einfachen Sinuston wird. Umgekehrt wird ein Hochpass die hohen Schwingungen allein übrig lassen, es entstehen schrille, oft klirrende Klänge.
Wenn wir Tongeneratoren und Filter haben, können wir im Prinzip alle möglichen Klangfarben erzeugen. Die wichtigsten Bauteile jedes elektronischen Studios und jedes Synthesizers sind darum Tongeneratoren und Filter.

Kontur-Generatoren

Allerdings lassen sich damit erst stehende Töne ohne Anfang und Ende erzeugen. Wir brauchen eine Art "Tor", das uns die Töne zerhackt. Dieses Tor kann unterschiedlich schnell geöffnet oder geschlossen werden: schnelles Oeffnen erzeugt schlagartig beginnende Töne wie bei einem Klavier, einer Gitarre oder einem Schlagzeug, langsames Offnen weich einschwingende Klänge wie bei einem Akkordeon. Solche "Envelope shaper" oder Konturgeneratoren sind in Wirklichkeit noch etwas raffinierter aufgebaut, sie sind ebenfalls in jedem elektronischen Musikinstrument zu finden. Was den Synthesizer von anderen Geräten unterscheidet, ist zuerst einmal das Baukastensystem: Er enthält die vorhin erwähnten Bauteile mehrmals, sowie ein System, das erlaubt, jeden Bauteil mit jedem anderen beliebig und in jeder gewünschten Reihenfolge zu verbinden. Dazu kommt nun die entscheidende Idee, die von Robert Moog erstmals systematisch durchdacht wurde, namlich die der Spannungssteuerung (voltage control): Alles, was an den Bauteilen schnell und genau eingestellt werden muss, wird durch eine elektrische Vorspannung kontrolliert - also z. B. die Tonhöhe der Generatoren, der Einsatzpunkt der Filter oder die Länge des Ausklangs im Konturgenerator. Diese so universell verwendbaren Steuerspannungen kdnnen auf viele Arten erzeugt werden, im einfachsten Fall sogar durch eine Taschenlampenbatterie mit einem simplen Spannungsregler. Synthesizer haben Tastaturen, die solche Steuerspannungen abgeben, je nach gedrückter Taste oder auch manchmal je nach Geschwindigkeit, mit der eine Taste niedergedrückt wird. Es gibt auch Steuerhebel oder bandförmige Steuergeräte, die dem selben Zweck, wenn auch weniger genau, dienen.
Solche Steuerspannungen aus verschiedenen Quellen lassen sich ohne weiteres übereinander lagern. So kann man mit Hilfe einer langsam auf und ab schwingenden Steuerspannung etwa einen Ton auf und abwärts wandern lassen oder ein Filter und damit die Kiangfarbe eines Tons periodisch verändern. Gleichzeitig kann dieser selbe Ton in Tonhöhe, Klangfarbe oder Lautstärke von einer Tastatur beinflusst werden. Es gibt auch Einrichtungen, die auf das Drücken eines Knopfs oder einer Taste mit einer einmaligen auf oder abwärtsspringenden Steuerspannung antworten. Sie erzeugen unter anderem die typischen jaulenden Klangfarben, die mit Hilfe der gesteuerten Filter entstehen und wie ein ganz präzis bedientes Wah-wah-Pedal klingen.
Es sollte klar sein dass die Kombinationsmöglichkeiten fast unerschöpflich sind, wenn alle diese Steuerquellen wirklich ausgenützt und planvoll kombiniert werden.
Weitere individuelle Variationen ergeben sich dadurch, dass ein richtiger Synthesizer kaum je "von der Stange" gekauft wird. Der Käufer wählt ein Gehause und füllt es dann mit Bausteinen, "Modulen" seiner Wahl, die so konstruiert sind, dass sie nur eingesteckt werden müssen und dann schon funktionieren. Nur zur Vereinfachung, vor allem für den Anfänger, werden auch fertig zusammengestellte Geräte vorkauft, die dann mit Typenbezeichnungen (Moog I, II etc.) versehen werden.
Ein fertig zusammengestellter Moog Synthesizer Typ III von 1967 (damaliger Preis: 6190 Dollar) bestand aus 10 spannungsgesteuerten Tongeneratoren, einem Rauschgenerator (ein Gerät, das Rauschen
erzeugt und vor allem für Geräuschnachahmungen wichtig ist), zwei verschiedenen Filtern, vier Konturgeneratoren, einem Nachhallgerät, einem kleinen Mischpult, einer Tastatur, zwei bandförmigen Steuergeräten und einer Menge von normierten Kabeln, mit denen alle Teile nach Wunsch verbunden werden konnten. Mit diesem "Klangbaukasten", manchmal mit einigen zusätzlichen Hilfen wie Steuerpedalen oder Lochstreifenapparaturen als "Gedächtnis" entstanden die ersten Moog-Schallplatten, die plötzlich einen unerwarteten Erfolg haben sollten.

Walter Carlos

Der Mann, der mit diesem Erfolg vor allem verbunden ist, heisst Walter Carlos. Er wurde 1939 geboren. Sein Studium in Musik und Physik absolvierte er vor allem an der New-Yorker Columbia University. 1963 entstanden erste elektronische Werke, 1965 schloss er sein Studium mit der Komposition einer zweistündigen Oper ab, und schon 1966 gründete er sein privates elektronisches Studio. In mühsamer Arbeit, mit vielen Rückschlägen, entstanden die ersten Bearbeitungen, für die er als Verehrer von Johann Sebastian Bach einige Klavierinventionen wählte. Für jede Instrumentalstimme dieser zuerst nur zwei bis dreistimmigen Versuche musste eine Schaltung gefunden werden, die eine interessante Klangfarbe ergab. Dann musste Stimme für Stimme mit grösster Präzision auf der Tastatur gespielt und auf einem Mehrspur-Tonbandgerät aufgenommen werden.
Um bei diesen Stücken und noch viel mehr bei den späteren vielstimmigen und Iängeren Orchesterwerken den Eindruck einer perfekten, aber langweiligen Musikmaschine zu vermeiden, musste jede Stimme ständig in Lautstärke und Klangfarbe belebt variiert werden. Besonders wichtige Klangeffekte mussten Ton für Ton hergestellt und mühsam ins Ganze hineingeflickt werden. Dass man der ersten "Switched-on Bach"-Platte die Mühsal kaum anmerkt, verdankt sie dem geradezu unheimlichen Perfektionismus und der Geduld Carlos' und seines Helfers Benjamin Folkman. Die Tücken der frühen Moogs waren recht nervenaufreibend, vor allem verstimmten sich die Tongeneratoren laufend und mussten nachgestellt werden. Die Platten der weniger exakten und geduldigen ersten Nachahmer von Carlos klingen aus diesem Grund oft grausam verstimmt!
Kaum war die erste Carlos-Platte 1969 erschienen, zeigte sie unerwartete Verkaufszahlen. Sie blieb lange Zeit die meistverkaufte Schallplatte im klassischen Sektor. Carlos liess sich mit dem Erlös die modernsten Apparaturen bauen und wagte sich zusammen mit seiner Produzentin Rachel Elkind an neue Werke. Die Filmmusik und die damit verbundene LP zu "Clockwork Orange" enthält Teile mit täuschend echt nachgeahmten Instrumenten wie auch frei erfundene Klänge von bestürzender Eindrücklichkeit. In den Geräuschimpressionen von "Sonic Seasonings" ist fast nicht mehr erkennbar, was echtes Geräusch und was elektronischer Klang ist.
Der Erfolg brachte die Nachahmer: fast jede Plattenfirma wollte in Rekordzeit eine LP mit Moog-Klassik oder "Switched-on Rock" herausbringen. Die Resultate waren dementsprechend: verstimmte uninteressante Versionen von vergangenen Hits, die meist ebenso gut auf einer billigen elektronischen Orgel erzeugt werden konnten. In Studiosessions von Pop-Gruppen wurde recht phantasielos an irgendeiner flauen Stelle ein Rauschen oder Quietschen eingefügt. Bekannte Musiker kauften sich schnell für teures Geld einen Moog und gaben ihn zurück, nachdem sie nach einigen Tagen Herumspielen die Funktionsweise noch nicht begriffen hatten. Es brauchte einige Zeit, bis diese Phase überwunden war und Musiker wie Keith Emerson, Francis Monkman, Stevie Wonder, Pete Townshend, um nur einige zu nennen, wirklich kreativ zu neuen Resultaten kamen.

Konkurrenz

Dann kam die Konkurrenz der anderen Synthesizer-Hersteller. Das System von Donald Buchla wurde von der CBS-Instrumentenabteilung übernommen und angepriesen, allerdings kaum nennenswert verkauft. Alan R. Pearlman konstruierte den ARP-Synthesizer, der dem Moog in der Stabilität der Generatoren und im Bedienungskomfort überlegen war. An Stelle der vielen Verbindungskabel, die beim Moog an eine altmodische Telefonzentrale erinnert und die bei einer komplizierten Schaltung nur noch mit Mühe zu übersehen sind, führte ARP ein System von auf Schienen verschiebbaren Miniaturschaltern ein, die nur noch für sehr umfangreiche Verbindungen durch Kabel ergänzt werden mussten. ARP baute auch serienmässig Spezialgeräte wie etwa Ringmodulatoren ein. (Ein Ringmodulator erzeugt aus zwei hineingegebenen Tönen einen neuen komplexen Klang, der Anteile und Kombinationsresultate der beiden Töne enthält.) Ein wichtiges Zusatzgerät, ursprünglich von Don Buchla erfunden, ist der "Sequencer". Dies ist ein praktisches elektronisches Gedachtnis: Mit Hilfe von Einstellknöpfen können einige Steuerspannungen vorgewählt werden. Beim Spielen lässt man den Sequencer ablaufen und kann damit vorprogrammierte Tonfolgen oder Klangeffekte erzielen. Allerdings sind die meisten derartigen Sequencer lächerlich klein: der ARP hat 10, der Moog 24 Positionen. Ein grosses ARP-System 2500 mit 7 Tongeneratoren, 2 Rauschgeneratoren, 2 Filtern, 4 Konturgeneratoren, 4 Ringmodulatoren, 2 Tastaturen und 2 Sequencern für je 10 Töne kostete 1970 9700 Dollar - für europäische Verhaltnisse beim damaligen Dollarkurs von über 5 SFr. leider viel zu viel.
Die Moog-Company selber machte ihren grossen Modellen zusätzlich Konkurrenz: sie baute den Mini-Moog, ein Kleingerät, das allerdings einer der wichtigsten Ideen des Moog-Erfinders, nämlich der der unbegrenzten Variationsmöglichkeiten, widerspricht. Es hat dafür den Vorzug, dass es schneller und einfacher umzuprogrammieren ist, ein Vorteil, der für Pop und Jazzgruppen auf der Bühne wichtig sein kann. Der Mini-Moog enthalt drei Tongeneratoren, einen Rauschgenerator, einen Filter, zwei Konturgeneratoren und eine Tastatur mit eingebautem Glissando. Diese Bauteile sind aber nicht frei kombinierbar: sie sind in einer festen Reihenfolge hintereinander geschaltet, und es bestehen lediglich einige Variationsmöglichkeiten durch Schalter, die bestimmte Wege öffnen und schliessen. Die Klangmöglichkeiten entsprechen etwa dem, was der Besitzer eines neuen Synthesizers in den ersten zwei Wochen ausprobiert - es entstehen die Klänge, die man als "typisch Synthesizer" empfindet (paradox für ein Instrument, das nie auf etwas "Typisches" angelegt war). Allerdings hat das Instrument, gerade wegen der Einfachheit der Bedienung und der Uebersehbarkeit der Möglichkeiten, eine sehr grosse Verbreitung erhalten. Die ersten Synthesizer-Bühnenvirtuosen (abgesehen von Keith Emerson mit seinem Spezial-Moog) spielten Mini-Moogs. Vor allem Musiker wie Jan Hammer (Mahavishnu) und Don Preston (Zappa) nützen die Möglichkeiten des Instruments voll aus und bringen es fertig, aus dem Ding, das bei schlechteren Interpreten wie eine billige Kleinorgel tönt, unerhört lebendige Klänge herauszuholen.

Englische Modelle

In England ging die Entwicklung etwas anders. Da tat sich ein Musiker mit technischem Flair, Peter Zinovieff, mit einem aussergewöhnlichen Techniker, David Cockerell und einigen weiteren Technikern und Kaufleuten zusammen und entwickelte einen Klein-Synthesizer mit einem dem Mini-Moog vergleichbaren Inhalt, aber den Schalt- und Ausbaumöglichkeiten eines Studiomodells. Ein sog. Kreuzschienenverteiler mit 16 x 16 Löchern gibt die Möglichkeit, alle Bauteile übersichtlich und in kürzester Zeit miteinander zu verbinden. Zudem sind die Erzeugnisse der Electronic Music Studios, London relativ billig. Dem ersten Modell, das in den Handel kam, genannt VCS-3, folgte bald der Synthi A, der die gleichen Möglichkeiten bietet, aber in einem Aktenköfferchen Platz hat. Dann kam der "Synthi 100" und damit der grösste und modernste kommerziell hergestellte Synthesizer der Welt. Als ich den Prototyp bei einem Besuch in London zusammen mit Hans Kennel Ende 1970 zum ersten Mal sah, klappte noch einiges nicht. Der "Vater" des Dings, Peter Zinovieff, hatte selber noch ziemlich Mühe, alles zu erklären und zum Funktionieren zu bringen. Aber es war beeindruckend genug: das Ungetüm mit seinen 12 Oszillatoren, 2 Rauschgeneratoren, 9 Filtern, 3 Ringmodulatoren, 3 Konturgeneratoren und zwei Tastaturen hat zwei Kreuzschienenverteiler von 60 auf 70 Kreuzungspunkten, womit jede denkbare Kombination kinderleicht zu erreichen ist. Dazu kommen Zusatzgeräte wie ein Oszilloskop, ein Frequenzzähler, ein Mischpult, und zu allem hin das erste wirklich elektronische Gedächtnis, ein nach dem Computerprinzip arbeitender "Sequenzer", der z.B. ein dreistimmiges Stück von 256 Tönen Länge aufnehmen und in jedem Tempo, in jeder Tonlage, vorwärts und ruckwärts wiedergeben kann.
Die Idee zu diesem Sequencer kam nicht von ungefähr: Zinovieff hatte schon seit Jahren in seinem eigenen Studio mit Klein-Computern gearbeitet und eine eigene Musik-Computersprache entwickelt. Der "Synthi 100" ist nur die "kommerzielle" Ausführung für den Gebrauch von Tonstudios, wobei kommerziell vielleicht nicht ganz das richtige Wort ist: es wurden nicht mehr als 12 Stück gebaut, die unter anderem in London, Belgrad, Moskau, Melbourne, in Stuttgart bei Wolfgang Dauner und in Zürich bei mir stehen.
Das nächste Modell, der Synthi AKS brachte einen weiteren Fortschritt: den Einbau eines kleinen einstimmigen Sequencers und einer Mini-Tastatur in das Aktenköfferchen. Damit ist es möglich, Dinge zu machen, die vor Jahren noch ein grosses Studiomodell erfordert hätten. Eine weitere Erfindung gibt dem Ganzen noch grössere Vielfalt: ein Tonkonverter verwandelt Töne von einem Mikrophon oder Tonabnehmer in Steuerspannungen und erlaubt so, den Synthesizer anstatt mit der Tastatur mit irgendeinem Instrument oder sogar mit der Singstimme zu steuern. (Eine simplere Ausführung der selben Grundidee ist die Moog-Trommel, die je nach Anschlagstärke einem Mini-Moog verschiedene Kldnge entlockt.)

In den letzten Jahren sind in zunehmendem Mass weitere Fabrikate und Modelle aufgetaucht, die aber leider nur selten etwas Neues bieten. Interessant sind der mittelgrosse ARP 2600, der eine Zwischenstufe zwischen Bühnen-Mini und Studiogerät darstellt, der praktische ARP-Odyssey und der Mini-Moog-Nachfolger Sonic Six, die alle für Live-Auftritte recht praktisch sind. ARP hat für seine Geräte ein sehr durchdachtes Ausbildungssystem entwickelt, das den Anfänger an instruktiven Beispielen in den Gebrauch aller Bauteile einfuhrt. An der Musikmesse in Frankfurt im Februar 1973 wurden daneben noch etwa ein Dutzend sogenannte Synthesizer gezeigt, die dasselbe oder weniger können wie der Mini-Moog und für Tanzorchester brauchbar sind, die "auch einen Synthesizer" wollen, sich aber vor der Mühe scheuen, die mit dem Erlernen eines richtigen Instruments verbunden ist. Viele davon erinnern fatal an das seinerzeit verbreitete Solo-Vox, das von Barpianisten ans Klavier gehängt wurde und einige Instrumente einigermassen nachahmen konnte. Wenn man daran denkt, dass ja Synthesizer gerade nicht dazu da sind, einfach bestehende Instruments nachzumachen, wird man diesen Geräten gegenüber doppelt kritisch und erinnert sich daran, wie rasch andere elektronische Gags, die zu wenig vielseitig waren, wieder in Vergessenbeit gerieten.
Hier nur eine Aufzählung weiterer Hersteller von Synthesizern oder ähnlichen Geräten, wobei die Skala vom anspruchsvollen Studiomodell bis zum Spielzeug-Gag reicht:
Baldwin / Buchla / Computone / Davoli / Dewtron ElectroComp / FBT / Jen / Motorola / Steelphon / Thomas-Moog / Triadex / Univox / Wurlitzer.

Entwicklung

Wie die Entwicklung weitergehen wird, ist noch nicht abzusehen. Sicher wird es viele Musiker geben, die die heutige Synthesizer-Mode ausnützen und auf schon ausgefahrenen Gleisen weiterfahren worden. Sie benützen den Synthesizer gedankenlos als harmloses Zusatzgerät zur Orgel. Aber es ist zu erwarten, dass diese ewiggleichen Klänge bald den Hörern verleidet sein werden, so dass man sich auf neue Möglichkeiten besinnen muss. Vielleicht nimmt man sich dann die King Crimson-LP "Lizard" von 1970 zum Vorbild, in der Stimmen und Instrumente durch den Synthesizer originell verfremdet wurden. Die Konstrukteure ihrerseits werden noch kleinere, hoffentlich dennoch vielseitigere Geräte bauen. Bereits gibt es zweistimmige Tastaturen und Schnell-Schalthilfen für häufig gebrauchte Kombinationen. Ein Gerät, das speziell für die Live-Klangveränderung von Instrumenten gebaut ist, wird bald erhaltlich sein. Einige Hersteller (Dewtron, Chadacre, Taylor) verkaufen Einzelbauteile, aus denen man mit einigem Geschick einen Synthesizer nach eigenen Plänen bauen kann. Ob sie die sehr hohen Genauigkeitsanforderungen, die man an ein Musikinstrument stellt, erfüllen können, ist allerdings noch fraglich, und auch die Geldersparnis ist oft scheinbar, weil man die vielen Arbeitsstunden und die zu erwartenden Rückschläge einzurechnen vergisst. Auf jeden Fall nur eine Sache für Leute, die von Technik mehr als nur eine Ahnung haben!
Vielleicht in diesem Zusammenhang noch eine Warnung: Bevor man einen Synthesizer bei einem "billigeren" Händler kauft, sollte man sich vergewissern, ob er auch fähig ist, etwaige Reparaturen auszuführen und ob der "Spezialpreis" auch wirklich billiger ist. Ich kenne mehrere Fälle von sogenannten Discountpreisen, die wesentlich über den offiziellen lagen. Bei den grossen Studiomodellen, die im grunde genommen als einzige so vielseitig sind, dass sie nicht in wenigen Jahren veraltet sein werden, geht die Entwicklung rasant zum Computer hin. Peter Zinovieff kann mit seinem Computer-Synthesizer bereits menschliche Stimmen nachahmen oder in Musik "verwandeln". Seine ersten Versuche dokumentiert ein Titel auf der LP "Phantasmagoria" von Curved Air, ausgeführt von Francis Monkman in Zinovieffs Studio. Heute ist er bereits so weit, dass ernsthaft erwogen wird, seine Sprechmaschine für billige Telefonverbindungen über weite Distanzen einzusetzen.
Es wird allerdings noch schwieriger sein als heute, die neuen anspruchsvollen Maschinen zu bedienen und ihnen wirklich musikalische Klgnge, nicht nur mechanische Töne, zu entringen. Das braucht Musiker, die von Technik etwas verstehen, und Techniker, die musikalisch sind, was leider nicht allzu oft zu finden ist. Die Zukunft wird aber sicher den kreativen Talenten gehören, die immer wieder versuchen, neue Wege zu gehen und die sich nicht damit begnügen, schon Bekanntes zu wiederholen.